Von Anton Bruckner kennt man vor allem die großen Sinfonien. Doch sie wären nicht denkbar ohne das Œuvre für Orgel und vor allem für Chor: Aus diesen Kompositionen entwickelte sich der Kathedral-Stil, der Bruckners Sinfonik so unverwechselbar machen sollte. Am 3. Oktober 2015 erklingt im Hohen Dom zu Mainz die sechste Sinfonie – als Teil der Reihe „Kathedralklänge“, die der Kultursommer Rheinland-Pfalz 2004 erstmals initiierte.
Damals wurden erstmals alle vier Dome des Landes sowie ihre Ensembles zusammengebracht. War im ersten Jahr die venezianische Mehrchörigkeit der Topos, widmete man sich 2007 der skandinavischen Chormusik und 2012 mit dem selten aufgeführten Werk „The Kingdom“ dem englischen Komponisten Edvard Elgar. In der Saison 2014/15 beschäftigte sich die Deutsche Staatsphilharmonie gemeinsam mit den jeweiligen Domchören in drei monumentalen Konzerte Werk Anton Bruckners: Den Reigen führte der Dom zu Speyer an, seines Zeichens ebenso Kaiserdom wie Unesco-Weltkulturerbe, die größte romanische Kirche überhaupt. Ihm folgte im weiteren Verlauf des Projekts der Wormser (Kaiser-) Dom, einst der historische Schauplatz des Wormser Reichtags. Die Hohe Domkirche zu Trier schloss sich an, auch sie Unesco-Weltkulturerbe: die älteste Bischofskirche von Deutschland, deren Fundamente noch aus römischer Zeit stammen. Mit dem Mainzer Dom wird diese Reihe nun fortgesetzt.
In jedem der drei bisherigen Konzerte kam es zu einer Gegenüberstellung von einem oder mehreren Chorwerken, interpretiert durch die örtlichen Kantoreien, und jeweils einer Sinfonie. So bildeten im Dom zu Speyer Motetten Bruckners die vokale Ergänzung zu seiner neunten, nicht vollendeten Sinfonie – eine Kombination, die auf beeindruckende Weise zeigte, wie sehr gerade auch die Orchestermusik des Komponisten von einer sakralen Aura umgeben ist. Flankiert von Franz Liszts gregorianisch beeinflusster Missa choralis kam es im zweiten Konzert zu einer Aufführung von Bruckners dritter Sinfonie, während in Trier die vierte Sinfonie erklang, die auch als die „Romantische“ bekannt ist.
In Mainz stehen die sechste Sinfonie und Motetten Bruckners im Mittelpunkt: „Virga Jesse“, „Os justi“, „Vexilla regis“, „Tota pulchra es“, „Ave Maria“ und „Locus iste“ werden vom Mainzer Domchor und der Domkantorei unter der Leitung von Domkapellmeister Karsten Storck aufgeführt, die A-Dur-Sinfonie von der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz, dirigiert von Karl-Heinz Steffens. Im kommenden Jahr geht es dann erneut nach Speyer, wo am 15. Juli Bruckners Sinfonie Nr. 7 zur Aufführung kommt, sowie nach Trier, wo zwei Tage später Nr. 8 erklingt.
GMD Steffens betrachtet die Idee des Bruckner-Zyklus‘ als Herzensangelegenheit: „In diesen Räumen erfahrbar werden zu lassen, wie der ‚kleine‘ Komponist Anton Bruckner, der im Leben nicht gut zurecht kam, seinen großen sinfonischen Kampf mit sich und Gott austrägt, und dazu die Chor- und Orgelwerke Bruckners durch die heutigen Dommusiker zu erleben, das ermöglicht nicht nur einen vollständigen Blick auf das sinfonische Schaffen Bruckners, sondern auch große Klangerlebnisse.“
Der hiermit auf ein klingendes Podest gehobene Tonsetzer wird auch als „Musikant Gottes“ bezeichnet: Die tiefe Religiosität kennzeichnet sein Werk sowohl im sinfonischen als natürlich auch im vokalen Bereich. Bruckner selbst sagte einmal zum Geistlichen Josef Kluger: „Tausenden hat mich Gott begnadigt und dies Talent mir, gerade mir gegeben. Ihm muss ich einmal Rechenschaft ablegen. Wie stünde ich dann vor unserem Herrgott da, wenn ich den anderen folgte und nicht ihm!“
Bruckner gilt fraglos als ein Meister aller musikalischen Gattungen: Sinfonien, Kammermusik, weltliche und geistliche Vokalstücke, Orgel - und Klavierwerke hat er der Nachwelt hinterlassen. Das intensive Studium der Harmonielehre kam seinen genialen Improvisationen zugute, in deren Genuss 1869 auch Kollegen wie César Franck, Charles Gounod und Camille Saint-Saëns in Notre Dame kamen. 1871 begeisterte er das Publikum an der neuen Orgel der Royal Albert Hall in London mit Werken von Johann Sebastian Bach, Georg Friedrich Händel, Felix Mendelssohn Bartholdy und eigenen Improvisationen. Die Anerkennung seines sinfonischen Werkes ließ hingegen auf sich warten: Erst die Nr. 7 war 1884 ein erstes großes Erfolgswerk.
Keinem Komponist von Rang werden übrigens so viele negative persönliche Eigenschaften nachgesagt: Unter seinen Zeitgenossen galt Bruckner als ungebildet und intellektuell wie literarisch unbedarft, als naiv, hilflos und einfältig. Die inneren Konflikte spiegeln sich denn auch in zahlreichen Umarbeitungswellen seiner Werke wider. Erst gegen Ende seines Lebens gelangte der Künstler zur eigentlichen Anerkennung, nach der er sich seit jeher gesehnt hatte. Der am 4. September 1824 geborene „Musikant Gottes“ starb am 11. Oktober 1896 im Alter von 72 Jahren und wurde auf seinen letzten Wunsch hin in der Gruft unter der Großen Orgel in der Linzer Stiftskirche von St. Florian beigesetzt.