Krystzof Pendercki zu Gast am Mainzer Dom (03/2016)

Hoher Besuch am Mainzer Dom: Eine Woche vor Karfreitag kommt dort eine besondere Passionsmusik zur Aufführung: Auszüge aus der „Lukas-Passion“ von Krystzof Pendercki – dirigiert vom Komponisten selbst.

679160PENDERECKI neuUraufgeführt wurde das Werk des 1933 im polnischen Dębica geborenen Pendercki ebenfalls in Deutschland: am 30. März 1966 im Dom zu Münster (Westfalen). Für die Mainzer Aufführung, die im Rahmen der Sinfonieorchester am Staatstheater stattfindet, hat Domkapellmeister Karsten Storck intensiv mit den Chören am Mainzer Dom – der Mainzer Domchor und die Domkantorei St. Martin – geprobt. Das Konzert gilt als Auftakt der Feierlichkeiten rund um das Jubiläum 150 Jahre Mainzer Domchor.

„Ein Wochenende der Musik, vorgestellt und interpretiert vom Komponisten: an diesem, nun zum zweiten Mal stattfindenden Projekt wirken führende Kulturinstitutionen des Landes Rheinland-Pfalz zusammen“, heißt es seitens des Mainzer Staatstheaters. Das Komponisten-Portrait wird durch eine Kooperation des Philharmonischen Staatsorchesters, der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz sowie der Landesmusikredaktion von SWR 2 ermöglicht; beteiligt sind auch der Kulturfons Peter E. Eckes sowie der Landesmusikrat Rheinland-Pfalz.

Das Werk selbst hat eine spannende Geschichte, gilt Pendereckis „Lukas-Passion“ doch als eines der Schlüsselwerke der Neuen Musik. Als deren Experte hatte sich der Komponist bereits durch experimentelle Avantgarde-Stücke wie 1960 „Anaklasis“, ein Orchesterwerk für Streicher und Perkussion oder ein Jahr später mit dem Klagegesang für die Opfer des Atombombenabwurfs in Hiroshima „Threnos“ gemacht. 1962 schrieb er ein „Stabat mater“ für drei gemischte Chöre a cappella, womit er sich offen zum Katholizismus bekannte. Mit diesem Werk rief er jedoch auch Kritiker auf den Plan, die ihm vorwarfen, er habe mit der Schlichtheit und direkten Emotionalität einen reaktionären Weg beschritten und damit seine eigene Entwicklung ins Gegenteil verkehrt. Der Künstler widersprach jedoch und sagte Jahre später in einem Interview mit dem „Spiegel“: „Ich wehre mich als Komponist einfach dagegen, dass die Musik immer komplizierter wird.“

Im Jahr 1964 erhielt Pendercki vom Westdeutschen Rundfunk einen Kompositionsauftrag; Anlass war die Hundertjahrfeier des Weihetags des Doms zu Münster. Das Ergebnis war die „Passio et mors Domini nostri Jesu Christi secundum Lucam“ (Leiden und Tod unseres Herrn Jesus Christus nach Lukas). Die Uraufführung vor fast 60 Jahren fand just an dem Tag statt, an dem das Christentum in Polen 1.000 Jahre existierte.

Natürlich standen Bachs Passionen bei Penderckis „Lukas-Passion“ Pate: Es gibt einen gemischten Chor sowie einen Knabenchor, einen Erzähler, Solisten (Sopran und Bass) sowie ein Orchester. Die in lateinischer Sprache widergegebene Passionsgeschichte wird durch Psalmen, Antiphone und Hymnen flankiert. Anders als bei Bach wird die Rolle des Evangelisten jedoch nicht gesungen, sondern gesprochen. Typisch für die Chorwerke, die Penderecki in der Folgezeit schuf, ist auch die Vielfalt der chorischen und orchestralen Techniken. Bereits im Eingangschor überrascht der Chor mit Melismen und Clusterklängen. Man hört Klangflächen und -farben, Glissandi. Dem Werk mit seinen 27 Partien liegen zwei Zwölftonreihen zugrunde, die mit einer Reminiszenz an Johann Sebastian Bach schließen: mit den Tönen h-b-a-c.

Ein markantes Merkmal der „Lukas-Passion“ ist die Behandlung der menschlichen Stimme, deren Ausdrucksform vom melodischen Gesang über das Sprechen und Murmeln bis zum Aufschrei reicht. Das siebenminütige „Stabat mater“ wirkt diesbezüglich wie eine Kompression der anderthalbstündigen Passionsmusik: Nach einer langsamen Aufschichtung melodischer, monotoner Figuren ist eine teils geflüsterte, teils geschriene Partie zu hören, die nach einer weiteren vielschichtigen und verschränkungsreichen Steigerung in einen unvermittelten Dur-Dreiklang mündet.

„Es ist die eigenwilligste und erfolgreichste Passionsmusik, die seit Bach komponiert wurde“, schrieb der „Spiegel“ im Jahr 1967 und zitierte die „Stuttgarter Zeitung“, wonach die „Lukas-Passion“ „eine für unsere Zeit repräsentative Schöpfung“ sei. Der „Spiegel“ berichtet auch von diversen Aufführungen: In Venedig rief ein Priester trotz des Beifalls-Verbots in der Kirche San Giorgio Maggiore „Bravo!“, in der Warschauer Philharmonie wurde eine halbe Stunde lang applaudiert und in Krakau war das Interesse dermaßen groß, dass auch eine Wiederholung der Aufführung bei weitem nicht alle Kartenwünsche erfüllen konnte. Der Erfolg bescherte Pendercki nicht nur eine Dozentur an der renommierten Folkwangschule in Essen, sondern auch weitere Kompositionsaufträge.

Auf dem Programm des sechsten Sinfoniekonzerts am 18. und 19. März im Mainzer Dom stehen außer Partien aus der „Lukas-Passion“ das Adagio aus Pendereckis dritter Sinfonie für Streichorchester, die Ciaccona für Streichorchester sowie als Deutsche Erstaufführung das „Dies illa“ für Soli, Chor und Orchester. Als Solisten sind Dorin Rahardja (Sopran), Genevieve King (Mezzosopran) und Derick Ballard (Bass) zu hören.

Die „Lukas-Passion“ von Krysztof Pendercki ist mehrfach auf CD erschienen. An der im Jahr 1999 aufgenommenen Einspielung mit Franziska Hirzel, Francois Le Roux, Jean-Philippe Courtis und Manfred Jung sowie dem WDR-Rundfunkchor Köln, dem NDR-Chor und dem Orchester der Beethovenhalle Bonn unter der Leitung von Marc Soustrot wirkte auch der Mainzer Domchor mit. Die Zeitschrift „FonoForum“ urteilte seinerzeit: „Die Neue Musik-Erfahrung der Chöre macht sich angesichts der höchst differenzierten Artikulation und fein gestrickten Klang-Gewebe aus Clustern, Glissandi und Vierteltönen absolut bezahlt. Das Orchester zeigt Gespür für klangliche Valeurs, was umso wichtiger ist, da Penderecki den instrumentalen Apparat zumeist kammermusikalisch behandelt.“

(https://www.jpc.de/jpcng/classic/detail/-/art/Krzysztof-Penderecki-geb-1933-Lukas-Passion/hnum/2081027)

[Foto: Staatstheater Mainz]

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