Der Mädchenchor am Dom und St. Quintin wurde lange Jahre vom heutigen Domkapellmeister Karsten Storck geleitet. Dann kam Domkantor Matthias Bartsch, der allerdings vor rund anderthalb Jahren in Elternzeit ging. Mit Michael Kaltenbach steht dem Chor seitdem ein engagierter Kirchenmusiker vor, der in seiner Aufgabe als Domkantor voll aufgeht. Wir sprachen mit ihm über seine Erfahrungen und Eindrücke.
Herr Kaltenbach, als Sie der Allgemeinen Zeitung Mainz nach Ihrem Dienstantritt als Domkantor ein Interview gaben, titelte diese mit „Ein Sechser im Lotto“. Mittlerweile sind Sie seit anderthalb Jahren im Amt. Wie fühlen Sie sich?
Prima, sehr gut. Dieses Jahr war sehr intensiv für mich. Natürlich habe ich seit vielen Jahren jetzt schon Kirchenmusik gemacht, habe zwei Studiengänge abgeschlossen und kam dann direkt danach in die Praxis. Und das hier am Dom – das habe ich tatsächlich als den berühmten „Sechser im Lotto“ empfunden. Diese ersten 18 Monate haben mir einfach viele, neue Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse beschert.
Zum Beispiel?
Nun, man lernt hier eben erst mal dieses ganz besondere Umfeld kennen. Ich habe zwar in Mainz studiert, hatte mit dem Dom jedoch recht wenig zu tun. Einen kleinen Einblick bekam ich durch den Unterricht in Kinderchorleitung vom damaligen Domkapellmeister Matthias Breitschaft und vom jetzigen Domkapellmeister Karsten Storck.
Und gerade hier am Dom lernt man dann unheimlich viele Leute kennen – bestimmt um die tausend, sozusagen auf einen Schlag: Am Dom, im Staatstheater oder in der Schule – das sind ja lauter „Baustellen“, an denen man tätig werden darf und gerne arbeitet. Man lernt unheimlich viel Musik kennen und das in sehr kurzer Zeit. Es gibt drei große Chöre am Dom und mit allen arbeite ich sehr, sehr gerne zusammen.
Da sind ja die „Wellen des Berufslebens“ voll über ihnen zusammengeschlagen. Die Stelle als Domkantor in Mainz ist ja Ihre erste überhaupt. Haben sich denn Ihre Hoffnungen bezüglich Ihrer ersten Arbeitsstelle erfüllt? Sie sind ja eigentlich „ins kalte Wasser“ gesprungen...
Was dieses erste Jahr betrifft, kann ich nur sagen: Voll und ganz. Wer so etwas gleich zu Beginn seiner beruflichen Laufbahn erleben darf, hat wirklich ganz großes Glück. Man ist in kürzester Zweit so oft präsent und das auch außerhalb vom Dom. Als ich mit den Mädchen im vergangenen Jahr in Rom war, wurden wir für das Radio Vaticana interviewt. Das war nicht nur für die jungen Damen etwas Neues, sondern auch für mich!
Ein ganz besonderes Erlebnis war Pfingstmontag, gleichzeitig auch der 80. Geburtstag von Kardinal Lehmann. Das Fernsehen war da, der Gottesdienst wurde live ausgestrahlt, alles was Rang und Namen hat war anwesend.
Was fasziniert Sie an der Arbeit als Domkantor besonders?
Das steckt tatsächlich schon im Begriff, denn es ist der Gesang. Ich habe an der Hochschule natürlich Orgel studiert, was ich hier leider gar nicht mehr so ausüben kann wie früher. Aber ich habe seit über zehn Jahren mit verschiedenen Chören und Sängerinnen wie Sängern gearbeitet, habe Ensembles geleitet und Stimmbildung gegeben. Und das steht hier absolut im Mittelpunkt. Mehr geht gar nicht! Auch die Arbeit an den Schulen bzw. in den Gesangsklassen verläuft prima! Man hat fast die ganze Zeit mit Singen zu tun.
Aber doch nicht nur?
Nun, wenn man derart viele Menschen betreut, braucht es natürlich auch einen riesigen und vor allem funktionierenden Verwaltungsapparat. Und hierfür muss man natürlich sehr viel Zeit einplanen, weil man leider nicht immer nur Musik machen kann. Es ist schon sehr viel Organisatorisches zu leisten. Aber hier haben wir zum Glück ein gutes Team und tolle Mitarbeiter.
Die Aufgabe des Domkantors ist ja vor allem die Leitung des Mädchenchores am Dom und St. Quintin...
Ja. Meine Arbeit beginnt hier aber schon im Vorbereitungskurs, in dem die Drittklässlerinnen im Alter von acht, neun Jahren singen und nach ca. einem Jahr in den Mädchenchor wechseln. Besonders der Mädchenchor liegt mir sehr am Herzen! Früher arbeitete man ja frei mit mehreren Ensembles, manchmal auch parallel – aber der Mädchenchor ist eine feste Aufgabe, die ich sehr gerne erfülle.
Sie haben vorhin die Arbeit in den Schulen angesprochen. Wie sind Sie hierin eingebunden?
Die Chorarbeit macht mir riesig Spaß, vor allem auch das Singen in den Gottesdiensten, das Gestalten der Stiftsämter. Die Arbeit an den Schulen ist für mich ein Ausgleich, denn sie bringt mich wieder ein Stück weit in den Alltag hinein. Ich habe ja Schulmusik studiert und finde es toll, jetzt in der Grundschule tätig sein zu dürfen. Aber eben auch am Gymnasium, also fünfte und sechste Klasse. Das tolle ist eben, dass man hier mehreren Altersklassen zusammenarbeitet. Ich unterrichte an der Maria Ward-Schule, der Martinusschulen in Weisenau und Oberstadt. Die Zusammenarbeit mit den drei Schulen klappt super! Ab der ersten Klasse über Jugendliche bis zu den Erwachsenen. Man lernt Geistliche und Mitarbeiter am Dom kennen, Lehrer, Schüler und Eltern. Diese Vielschichtigkeit, diese Abwechslung macht für mich eben den großen Reiz aus.
Was ist denn der Schwerpunkt in der Schularbeit?
Der liegt ganz klar auf dem Singen. Natürlich erzählen Sie den Kindern auch etwas über die Musik. Aber hauptsächlich geht es um Stimmbildung. Wir machen Sing- und Rhythmusspiele, schulen das Gehör und die Koordination. Dabei lernen die Kinder über ihren Körper auch sich selber kennen, wenn wir zum Beispiel die richtige Atmung ansprechen. Es ist eben nicht der typische, frontale Musikunterricht, den man selbst erlebt hat. Und das zieht sich von der ersten bis zur sechsten Klasse. Weil wir dabei Ausschau nach potentiellem Sängernachwuchs für die Chöre am Dom halten, macht man das auch für ein höheres, größeres Ziel – nämlich die Musica sacra lebendig zu erhalten. Dass die Schulen diesen Weg mitgehen und das mittragen, ist wirklich toll.
Lassen Sie doch mal die vergangenen Monate Revue passieren – was waren hier besondere Höhepunkte?
Das sind in erster Linie tatsächlich die Gottesdienste! Die Konzerte sind mir auch wichtig, aber das Mitgestalten einer Messe – und hier vor allem natürlich an den hohen Feiertagen Ostern, Weihnachten, Fronleichnam und Palmsonntag – das erfüllt einen zutiefst. Das wird gerade hier am Dom sehr eindrucksvoll gefeiert. Es herrscht immer eine ganz besondere Atmosphäre, diese zu erleben und durch die Musik mitzugestalten zu können, dafür bin ich unheimlich dankbar. Wenn man sieht, wie viele Leute sich da mit einbringen – und zwar ehrenamtlich! Natürlich hatten wir auch schon viele, schöne Konzerte, intensive Probenwochenenden und eben als wirklich auch besonderes Erlebnis unsere Chorreise nach Rom.
Ihr erster Besuch dort?
Mein zweiter. Aber was wir da alles gesehen haben! Wir hatten eine Papst-Audienz, waren im Radio, haben viel von der Stadt gesehen. Dann besuchten wir den in Mainz-Finthen geborenen Gerhard Ludwig Kardinal Müller, Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre, der uns ebenfalls zu einer Audienz empfing. Wir waren am Meer, in vielen Kirchen. Und natürlich haben wir dort auch ein Konzert gesungen. Das war wirklich etwas ganz Besonderes.
Ihre Mädchen mussten sich mit Ihnen aufgrund der Elternzeit von Matthias Bartsch ja erneut an einen neuen Chorleiter gewöhnen. Wie läuft die Zusammenarbeit?
Ich habe den Eindruck, dass es sehr gut läuft. Für die Mädchen war es sicherlich eine große Herausforderung, sich in so kurzer Zeit – gerade mal gut zwei Jahre – auf drei Chorleiter ein- und umzustellen: Nach Karsten Storck kam Matthias Bartsch und dann ich. Auch jeder Chorleiter, der neu anfängt, muss sich hier natürlich erst mal neu zurechtfinden. Das merken die Mädchen auch. Aber sie unterstützen einen auch dabei. Schließlich lernte ich hier rund 140 Mädchen neu kennen – von der Kleinsten bis zur Ältesten. Man weiß noch keinen Namen, muss hier unheimlich schnell viel lernen – und nicht nur den Namen, sondern auch den Menschen dahinter, die Person und Persönlichkeit. Aber über die Musik wächst man menschlich eben schnell zusammen. Und dabei sieht man, wie sich die Mädchen musikalisch entwickeln. Die Mädchen machen oft so riesengroße Entwicklungschritte! Hier passiert in unglaublich kurzer Zeit unglaublich viel.
Eine gute Zusammenarbeit über das rein Musikalische hinaus also?
Ja, auf jeden Fall. Denn die Mädchen engagieren sich auch, indem sie mir beispielsweise Aufgaben abnehmen, für die einfach die Zeit fehlt: im Archiv, bei der Pflege des Notenmaterials und der Notenmappen, beim Aufbau von Podesten; Größere übernehmen Verantwortung über die Kleineren beispielsweise auf den Probenwochenenden oder Reisen. Da kann ich mich hundertprozentig drauf verlassen.