Domkantor Michael Kaltenbach zum Jubiläum „seines“ Chores (09/2019)

Der Mädchenchor am Dom und St. Quintin feiert sein 25-jähriges Bestehen. Seit 2014 wird das stimmstarke Ensemble von Domkantor Michael Kaltenbach geleitet. Wir sprachen mit dem Kirchenmusiker über die Besonderheiten dieser Chorgattung.



Was unterscheidet einen Mädchenchor klanglich von anderen Ensembles?

Auf den ersten Blick natürlich, dass man nur Oberstimmen hört. Es gibt keine Tenöre und Bässe. Doch auch ohne diesen „Unterbau“ sind die Mädchen in der Lage, eine unglaubliche Klanglichkeit zu entwickeln. Die Gattung ist ja noch relativ jung, was sich natürlich auch auf die Literatur auswirkt.

Braucht es hier für einen Mädchenchor anderes Hörvermögen, eine andere Wahrnehmung?

Wie bei einem reinen Männerchor auch liegen die Stimmen hier dicht beieinander. Bei Männern ist es eher ein tiefer und dunkler Klang, manchmal vielleicht auch etwas mulmig, wohingegen gerade junge Frauenstimmen etwas leichtes, helles und strahlendes haben. Man braucht beim Hören auf jeden Fall ein bisschen Zeit, um in diese Klangwelt reinzukommen. Nach oben hin ist das immer ganz einfach, aber die Altstimmen entwickeln sich noch viel mehr, wenn die Stimme mit zunehmendem Alter reift und immer mehr an Wärme und Tiefe gewinnt.

Mädchen haben ja keinen Stimmbruch, oder?

Nicht so, wie Jungs, das ist richtig. Aber auch Frauenstimmen entfalten sich, was wir über die Jahre sehr gut beobachten können, wenn ein Mädchen ganz jung, also mit sieben, acht Jahren bei uns anfängt: Die Stimme wird reifer, kräftiger, bekommt einen gewissen Dunkelfaktor, gewinnt ebenfalls an Tiefe, aber auch an Höhe. Im Gegensatz zu Knaben, die während des Stimmbruchs pausieren, können die Mädchen aber durchsingen. Ihre Stimme bricht nicht, sie entwickelt sich stetig.

Dann ist der Mädchenchor ja theoretisch auf endloses Wachstum angelegt?

(lacht) Ja, das könnte dann bald zu Platzproblemen führen. Bei uns singen tatsächlich derzeit 145 Mädchen mit. Das ist phantastisch. Mit 18, 19 Jahren verlassen sie dann in der Regel den Chor, weil sich nach dem Abitur mit Ausbildung oder Studium die Lebenswelt verändert. Manche wechseln dann auch in die Kantorei. Doch bis dahin mischt sich der Mädchenchor – menschlich und vor allem klanglich: Wenn man nur mal die Kleinen oder die Älteren singen lässt, dann sind das Welten! Im Gesamtchor mischt sich das dann zu einem tollen Klang. Und das ist immer eine besondere Herausforderung für alle.

Inwiefern?

Die Literatur, also vor allem zeitgenössische Werke und Stücke der Romantik, richtet sich vom Anspruch her natürlich an den Älteren aus. Doch auch unsere Jüngsten werden ja schon damit konfrontiert und müssen sie lernen. Von beiden Seiten fordert das dann gleichermaßen Engagement und Rücksichtnahme, um den Weg zusammen zu gehen. Vor allem für die Jüngeren ist das eine große Gewinnsituation.

Wo liegen die Stärken Ihrer Mädchen und jungen Damen?

Sie beherrschen ein sehr großes Repertoire und können musikalisch auf immer mehr Feinheiten eingehen. Da hat über die Jahre eine ganz großartige Entwicklung stattgefunden. Sie gehen wie selbstverständlich mit verschiedenen Stilen um und gerade im Vokalensemble, in dem Mädchen ab dem 14 Lebensjahr mitsingen, können wir sehr differenziert arbeiten. Der Chor hat in allen Registern eine irre Klangwucht und Kraft. Und es existiert eine große Bereitschaft, binnen kurzer Zeit sehr viel Musik zu realisieren: Der Chor singt neben der Liturgie Konzerte und wirkt auch in Opernproduktionen mit, wir gehen auf Konzertreisen – und alles neben den zunehmenden schulischen Anforderungen und in Konkurrenz zu anderen Freizeitangeboten.

Und was sind die Herausforderungen an Sie als Chorleiter?


Ich muss mit der ganzen Bandbreite umgehen, also vom kleinen Mädchen bis zur jungen Frau – und das gleichzeitig. Alle müssen Spaß an der Sache haben, keine darf unter- oder überfordert werden. Unsere Mädchen kommen in die Pubertät und entwickeln andere Interessen. Ich muss auf die persönlichen Empfindlichkeiten Rücksicht nehmen, das ist eine ganz sensible Arbeit. Mädchen sind sehr kommunikativ (grinst), was natürlich auch eine gewisse Disziplin braucht. Wenn jemand private Probleme hat, dann nehmen die anderen das viel intensiver und emphatischer füreinander auf. Das spürt man dann auch in der Probe. Aber wenn die Mädchen auf der Bühne stehen, dann funktionieren sie perfekt. Da kann ich mich hundertprozentig auf Sie verlassen.

Ergänzen Sie doch abschließend bitte folgenden Satz: Junge Mainzerinnen sollten unbedingt im Mädchenchor am Dom und St. Quintin singen, weil…

…sie zur Ehre Gottes singen, dabei musikalisch tolle Erfahrungen machen und in einer großartigen Chorgemeinschaft ihre Persönlichkeit stärken und entwickeln können.

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