Die Dommusik in Zeiten von Corona II (05/2020)

Nicht selten wird eine professionelle musikalische Arbeit mit dem Spitzensport verglichen: Auch hier ist ständiges Training nötig, um den Leistungsstand zu erhöhen oder zumindest zu halten. Nun können Marathonläufer auch in Zeiten von Corona durch den Wald jagen und Radsportler auf der Landstraße ihre Runden drehen. Doch wie sieht es mit den Chören und Gesangsensembles aus? Wenn sie nicht gerade alle zu musikalischen Großverbänden wie der Kelly-Family gehören, sind auch sie vom Versammlungsverbot betroffen. Die Chorarbeit ruht also.


Doch moderne Zeiten erfordern und bieten moderne Lösungen, zumindest im Ansatz. So probt die Kantorei am Dom seit einigen Tagen online, Domchor und Mädchenchor sollen jetzt folgen. Via Webex, einem Videokonferenz-Programm, das sich Domkapellmeister Karsten Storck und seine Sängerinnen und Sänger kostenlos auf ihrem Rechner installiert haben, trifft man sich statt zur analogen Chorprobe jetzt einmal wöchentlich digital. Und nach Stimmgruppen getrennt, denn da die Netzverbindungen nirgendwo gleich schnell sind, ist ein gemeinsames Singen technisch unmöglich.


An diesem Abend sind zuerst die Damen vom Sopran 1 dran. Pünktlich um 19.15 Uhr „schließt“ Storck das virtuelle Chorhaus auf. Jede(r) hat eine persönliche Einladung erhalten und sitzt nun mit den Noten von Michael Tippets „A Child of Our Time“ am heimischen Rechner – im Büro, der Küche, am Couchtisch. Das Leihmaterial vom Schott-Verlag wurde zuvor mit der Post verschickt. Storck selbst leitet die Proben von seinem Büro im Chorhaus – vor ihm Bildschirm, Kamera, Tastatur, Metronom und ein Keyboard. „Ich komme mir ein bisschen vor wie in einem Cockpit“, grinst der Musiker.


Die Probenarbeit gliedert sich in Informationen über die Musik, Hinweise auf harmonisch oder rhythmisch heikle Passagen und vor allem das Vorsingen. Storck spielt die Stellen mehrfach am Klavier, damit seine Soprane – bei abgeschalteten Mikros – mit- und nachsingen können. So arbeitet man sich Stück für Stück durchs Stück. Den Choristen wurde eine Referenzaufnahme auf CD und im Netz empfohlen, damit sie sich selbst schon mal mit der Musik vertraut machen können. „Es ist schon eine surreale Situation“, sagt Storck. Und trotzdem hat er sich dank der nun vermehrten Videokonferenzen im Bistum und dem Onlineunterricht, den er als Hochschulprofessor ebenfalls aktuell erteilt, erstaunlich schnell daran gewöhnt: „Das Gefühl, auch im Homeoffice nicht allein zu sein, ist für mich bereits ein Stück Normalität in der Krise.“


Natürlich weiß er: „Das ist ein gänzlich anderes Arbeiten und kann die normale Probenarbeit nicht ersetzen.“ Aber drei Dinge leiste eine Onlineprobe schon – und die sind dem Chorleiter immens wichtig: „Die Chorgemeinschaft bleibt zusammen, es findet ein Austausch statt, und ich kann die Sängerinnen und Sänger für die Musik sensibilisieren.“ Die zusammen durchgenommenen Sequenzen sollen alleine zuhause nachgearbeitet werden, damit Storck, wenn man probentechnisch irgendwann zur Normalität zurückkehren kann, einen Grundstock hat, auf dem er aufbauen kann.


Wenn nun auch die Jungs vom Domchor online gehen, haben sie ein wichtiges Ziel vor Augen: Wie zu Ostern mit Stimmen der Domkantorei wird Storck zu Pfingsten mit Rondeau Productions aus Leipzig ein Aufnahmeprojekt im Dom starten. Diesmal nehmen 14 Knaben- und vier Männerstimmen zwei Kantionalsätze von Colin Mawby auf, wobei auch die Domorgel zum Einsatz kommen wird. Zu sehen ist das Ergebnis dann ab dem 31. Mai im YouTube-Kanal der Mainzer Dommusik. Damit auch alle anderen der 180 Domchoristen zum Einsatz kommen, ist darüber hinaus ein Playback-Projekt mit dem Jazzmusiker Thomas Gabriel und seiner Band geplant.


Zurück ins Chorhaus: Die Damen vom Sopran 1 hören ihrem Chorleiter bis zuletzt aufmerksam zu, signalisieren per Handzeichen Fragen oder Klärungsbedarf. Am Schluss öffnet Storck als Administrator dann doch noch mal alle Mikrofone, denn so ganz ohne gemeinsames Singen will man nicht auseinandergehen. Und bevor nach einer halben Stunde der Tenor den virtuellen Chorsaal bevölkert, erschallt aus den Computerboxen ein 20-stimmiger Chor, der intonatorisch wie metrisch vielleicht noch ein wenig Luft nach oben hat, aber dafür umso empathischer klingt – und dankbar für eine halbe Stunde Zusammensein, eben das von Storck genannte Stück Normalität.

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