„Gloria in excelsis Deo“ (12/2016)

Wieder mal kein Platz mehr frei im Hohen Dom zu Mainz. Mit dem diesjährigen Weihnachtskonzert beschließt die Musica sacra ein spannendes und ereignisreiches Jahr. Man feierte 150 Jahre Mainzer Domchor, sang in Konzerten und Gottesdiensten. Zum großen Auftritt vor Weihnachten hatte Domkapellmeister Karsten Storck ein ansprechendes Programm zusammengestellt.

Das Weihnachtskonzert beginnt nicht mit Wolfgang Amadeus Mozart, sondern mit Georg Friedrich Händel und dem ersten Teil seines wohl berühmtesten Oratorienwerks „Messiah“. Der erklingt im Original und in englischer Sprache, wobei es eben Mozart war, der sich von der Musik zu einer Bearbeitung inspirieren ließ, die dann in deutscher Übersetzung musiziert wurde. Ursprünglich als wirkungsvolles Unterhaltungsstück konzipiert fehlt dem 1742 in Dublin uraufgeführten Werk die für Händel typische Dramatik. Trotzdem erfreut sich der „Messiah“ bis heute einer ungebrochenen Aufführungstradition mit teils gigantischem Klangkörper: Zu Händels 100. Todestag 1859 sangen den „Messiah“ 460 Sänger und 1881 zählte man in New York sogar einen Chor von sage und schreibe 2.700 Stimmen

Wie andere Händel-Oratorien ist auch der „Messiah“ dreiteilig angelegt, wobei jeder Part in zusammenhängende und einander kommentierende sowie ergänzende Komplexe aus Chören, Rezitativen und Arien gegliedert ist. Der heute musizierte, erste Teil berichtet in alttestamentarischen Texten von Vorahnung, Lobpreisung und Heilserwartung, um mit der Geburt des Erlösers zu enden. Nach einer Sinfonia blendet der Text ins Neue Testament über und erzählt die Szenerie, in der den Hirten von den himmlischen Heerscharen die Geburt Jesu verkündet wird. In der Textausdeutung kommt dem Chor im Vergleich zu anderen Oratorien Händels dabei eine übergeordnete Rolle zu: Seine Partien schließen sich direkt an die Arien an, ordnen und bilden die dramatischen Höhepunkte des Werkes – denke man nur an das berühmte „Hallelujah“ aus dem zweiten Teil. Der Theologe und Philosoph Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher (1768-1834) schrieb 1806: „Darum müssen beide fest aneinanderhalten, Christentum und Musik, weil beide einander verklären und erheben. Wie Jesus vom Chor der Engel empfangen ward, so begleiten wir ihn mit Tönen und Gesang bis zum großen Halleluja der Himmelfahrt; und eine Musik wie Händels ‚Messias‘ ist mir gleichsam eine compendiöse Verkündung des gesamten Christentums.“

Zehn Jahre, bevor Mozart sich Händels „Messiah“ widmete, hatte er seinen Dienst 1779 als Hoforganist des Salzburger Erzbischofs aufgenommen. Eine tatsächliche „Krönungsmesse“ hätte dem Geldbeutel des chronisch klammen Komponisten sicherlich gut getan, doch KV 317 war nicht für die Inthronisierung eines Monarchen geschrieben: Die C-Dur-Messe entstand als letzte vollendete Komposition ihrer Art aus Mozarts Salzburger Zeit vermutlich für das Oster-Hochamt des Jahres 1779. Ihren Beinamen „Krönungsmesse“ könnte sie durch eine Aufführung ein Jahr später anlässlich der Kaiserkrönung Joseph II. erhalten haben, der Begriff selbst kam jedoch erst in den 1870er Jahren auf. Seitdem ist KV 317 eben die „Krönungsmesse“. Doch Titel hin oder her: Der Beiname sagt einiges über die Rolle aus, die diesem Werk in der Rezeptionsgeschichte Mozartscher Kirchenmusik zukommt, zählt es doch in der Wertschätzung des Komponisten bis weit ins 19. Jahrhundert hinein zu einer der bedeutendsten Messekompositionen aus der Feder Mozarts. Außerdem wurde KV 317 seither gerne als Festmusik bei Gottesdiensten zu Krönungszeremonien aufgeführt.

Die C-Dur-Messe bildet den Schlusspunkt von Mozarts Missa brevis-Kompositionen. Diese vertonen zwar das komplette Mess-Ordinarium, nehmen jedoch im Umfang Rücksicht auf die Gesamtlänge des Gottesdienstes und sind eher knapp gefasst. Zur Straffung trägt gerade hier der Einsatz instrumentaler Großformen wie des Sonatensatzes im „Gloria“ oder des Rondos im „Credo“ sowie die Reprise von Klängen aus dem „Kyrie“ im finalen „Dona nobis pacem“ bei. Doch ist die „Krönungsmesse“ trotz des zeitlichen Korsetts der Missa brevis reich an Dramatik. Da ist die beklemmende Wirkung des „Et incarnatus“ und des unmittelbar folgenden „Crucifixus“ im „Credo“: Mozart braucht nur wenige Takte, um die zentralen Worte der Menschwerdung und des Leidens Christi zu vertonen; begleitet von den nervösen Läufen in den gedämpften Streichern wird das Bekenntnis zuerst gleichsam gemurmelt und dann hinausgeschrien.

Musik war auch für Benjamin Britten Berufung – und kein Zeitvertreib, auch wenn er 1942 nach seiner Rückkehr aus Amerika an seine Freundin Elizabeth Mayer augenzwinkernd schrieb, dass er während der Überfahrt nach England die ihr gewidmete „Hymn to Saint Cecilia“ auf einen Text von W.H. Auden geschrieben habe, weil „man die Langeweile mildern musste“. Die ebenfalls während dieser Reise entstandenen „Seven Christmas Charols“ kamen als früheste Version der berühmten „A Ceremony of Carols“ für hohe Singstimmen und Harfe noch im gleichen Jahr in der Bibliothek von Norwich Castle durch die Damen des Fleet Street Choir und die Harfenistin Gwendolen Mason erstmals zur Aufführung.

Die Entstehungsgeschichte des Werkes ist tatsächlich abenteuerlich: Die Schiffspassage, die Britten gemeinsam mit dem Sänger Peter Pears unternommen hatte, war nämlich alles andere als komfortabel. Pears beschrieb die Kabine als „ärmlich [und] sehr nahe am Kühlraum für Proviant, der Geruch und die Hitze waren unerträglich und es war schwer, weil die Leute den ganzen Tag pfeifend auf dem Korridor auf und ab gingen!" Während der Überfahrt studierte der Komponist dennoch Fachliteratur, die ihm die Harfenistin Edna Phillips überlassen hatte. Man vermutet, dass Britten sich durch ein unvollendetes, von Phillips in Auftrag gegebenes Harfenkonzert zu diesem Instrument als Begleitung seiner „A Ceremony of Carols“ inspirieren ließ. Die Reise war übrigens nicht ungefährlich, da das schwedische Handelsschiff „Axel Johnson“, auf dem Pears und Britten ihre Plätze belegt hatten, durch die von U-Booten der deutschen Kriegsmarine besetzte See fahren musste. In Halifax in Neuschottland, wo das Schiff Zwischenstation machte, hatte Britten ein Exemplar von „The English Galaxy of Shorter Poems“ erworben, was ihn auf die Idee brachte, eine Sammlung von Weihnachtsliedern zusammenzustellen.  

Aus diesen und weiteren Texten entstand „A Ceremony of Carols“, die der Komponist bis zur Veröffentlichung 1943 mehrfach ergänzte und neu arrangierte. Die heute aufgeführte Fassung besteht aus elf Sätzen unter anderem auf Texte von Gerald Bullett (in Mittelenglisch) sowie Boris Oid. Ursprünglich als lose Liedersammlung konzipiert fasste Britten sein Opus 28 später zusammen, woraus am heutigen Abend ausgewählte Sätze zu hören sind.

Das Konzert endet mit der Uraufführung von „Gloria in excelsis Deo“ von Albert Schönberger. Dieses Auftragswerk beschließt gleichzeitig das Jubiläum 150 Jahre Mainzer Domchor, den der Komponist in den Jahren 1984 und 1985 als Domorganist selbst kommissarisch geleitet hatte. Laut Domkapellmeister Karsten Storck liegt dem Weihnachtsstück Schönbergers die Bitte zugrunde, dass dieser die Szene, in der die Hirten von der Geburt des Heilands erfahren, mit musikalischen Elementen seiner bayerischen Heimat gestalten sollte.

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