Respekt und Vorfreude (3/2015)

Bachs Johannespassion ist im Mainzer Dom schon oft erklungen. Die Aufführung am 22. März 2015 um 17 Uhr ist dennoch etwas Besonderes – vor allem für einen: Zwar hat Domkapellmeister Karsten Storck das Werk schon unzählige Male gehört und mitmusiziert. Nun jedoch steht er erstmals als Dirigent am Pult. Noch halten sich Respekt vor dem Werk und Vorfreude auf die Musik die Waage, denn Storck weiß um die großen Herausforderungen, die gerade diese Passionsmusik an ihre Interpreten stellt.

Herr Domkapellmeister Storck, wie war das, als Sie zum ersten Mal die Johannespassion von Johann Sebastian Bach gehört haben? Wann und wie haben Sie das Werk erlebt, vielleicht ja auch selber musiziert?

Die Johannespassion ist eines der Werke Bachs oder eigentlich der abendländischen Musikkultur überhaupt, die mich seit Beginn meines musikalischen Schaffens begleitet und begeistert haben. Das fing schon als Sänger im Knabenchor an. Als Zuhörer erlebte ich die Johannespassion bewusst als 15- oder 16-jähriger in der Rudolf-Oetker-Halle in Bielefeld. Als während der Bass-Arie „Eilt ihr angefochtnen Seelen“ ganz unerwartet vom Chor die Frage „Wohin?“ gestellt wurde, da hatte ich wirklich die sprichwörtliche Gänsehaut – daran erinnere ich mich, als wäre es gestern gewesen! Seit dieser Zeit beschäftigt mich diese Musik, die ich unzählige Male gehört und in unterschiedlichsten Chorbesetzungen selbst gesungen sowie Teile des Continuo-Parts gespielt habe. Jetzt freue ich mich einfach darauf, das Werk in meinem Amt als Mainzer Domkapellmeister mit der Domkantorei St. Martin aufführen zu können.

Reine Vorfreude oder auch Respekt vor der Musik?

Keine Frage, es ist eine unglaubliche Herausforderung, sich mit dem Werk auf ganz unterschiedlichen Ebenen zu beschäftigen. Da ist die rein musikalische Arbeit, da sind die vielen technischen Schwierigkeiten, da ist die Aufgabe, die theologische Dimension dieses Stückes zu erkunden und abzubilden. Und schließlich geht es ja auch darum, seinen eigenen Weg in der Interpretation zu suchen – wohl wissend, dass man unheimlich viele große Vorbilder hat, die dieses Stück schon mal musiziert haben. Also ja: Die Vorfreude ist groß, aber auch der Respekt.

Nun, Angst brauchen Sie vor der Musik keine zu haben, denn in Ihren ersten zwei, ja nun fast schon drei Jahren haben Sie bewiesen, wie inspiriert Sie an Werke wie das Deutsche Requiem von Johannes Brahms, Claudio Monteverdis Marienvesper oder erst jüngst Frank Martins Oratorium „In terra pax“ herangegangen sind. Ist der erwähnte Respekt vor Bachs Passion aber größer als bei anderen Werken?

Ja, auf jeden Fall. Ich schätze dieses Werk so hoch ein, dass ich das in der Erarbeitung für mich persönlich als schwieriger und tiefer empfinde als die Vorbereitung auf andere Stücke. Die emotionale Herausforderung ist eine viel größere. Und dann sind da natürlich die technischen Aufgaben, die Bach für den Dirigenten parat hat: die schnellen Wechsel zwischen Chören und Rezitativen, die Verhörszenen mit ihren Spottchören. Das erweitert die Dimension der Vorbereitung doch immens.

Auch wenn Sie eben von vielen honorigen Vorbildern gesprochen haben, wollen Sie doch in erster Linie eigene Akzente setzen. Die Passion hat ja per se ihre eigene Aussage – was wird Ihre sein?

Meine Schwerpunkte sollen sich im Klang und in der Ausarbeitung der Klangfarben zwischen den colla parte spielenden Instrumental- und den Singstimmen ausdrücken. Natürlich will ich die Choräle ganz persönlich gestalten, denn in meinen Augen liegt das eigentliche Geheimnis der Bach-Passionen in der Kraft der Choräle. Hier will ich meine eigene Interpretation und damit meine eigene Aussage treffen.

Sie sprachen vorhin von den technischen Finessen. Wo sehen Sie hier besondere Herausforderungen?

Ganz klar in den vielen schnellen Passagen und Notenwerten. Diese gerade in unserem Dom zum Klingen zu bringen, verlangt ein gesundes Verhältnis von Dramaturgie und Raum. Die akustischen Verhältnisse im Mainzer Dom sind nicht einfach, aber sie sind dann beherrschbar, wenn die Balance aus Tempo und Textdeklamation stimmt. Es gilt, beispielsweise in einem Chor wie „Lasset uns den nicht zerteilen“ eine passende Relation zu finden, dann kann man auch eine Bach-Passion in den Dom stellen. Man darf dabei jedoch nie vergessen, dass man hier keine CD von Ton Koopman oder John Eliot Gardiner hört, die man einfach in den CD-Spieler einlegt.

Sie setzen bei Ihrer ersten Aufführung auf ein junges Solistenquintett. Wer wird musizieren?

Es sind Johanna Rosskopp (Sopran), Alexandra Rawohl (Alt), Daniel Sans (Tenor), Florian Rosskopp (Christusworte) und Johannes Hill (Bariton). Daniel Sans kommt ja selbst aus dem Mainzer Domchor. Mit diesen Solisten habe ich in der Vergangenheit viele musikalische Projekte gestalten dürfen, wobei es mir gerade für die Johannespassion wichtig war, ein Ensemble zusammenzustellen, bei dem ich weiß, dass das Werk auch auf einer persönlichen Ebene wachsen kann. Ich darf mir hier sicher sein, dass man sich vor allem schon in der Probenarbeit gegenseitig inspiriert, so dass ein lebendiger Entstehungsprozess herbeigeführt werden kann. Die von einer Auswahl der Männerstimmen des Mainzer Domchores begleitete Domkantorei St. Martin musiziert dabei mit dem Mainzer Kammerorchester.

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