Proben zwischen Schütz und Smartphone (10/2016)

2012 trat Karsten Storck sein Amt als Domkapellmeister an. Als Leiter des Domchores muss er sich dabei weitaus komplexeren, gesellschaftlichen Rahmenbedingungen stellen als dies bei seinen Amtsvorgängern der Fall war. Über seine Erfahrungen berichtet er im Interview.

Portrait Karsten Storck Mainzer Domchor Stephan DingesHerr Storck, 150 Jahre Mainzer Domchor sind erstmal ein Grund zum Feiern, oder?

Ganz gewiss! Und ich bin unheimlich stolz auf das, was nicht nur meine Jungs, sondern alle, die die Musica Sacra am Mainzer Dom gestalten, bisher geleistet haben – und natürlich aktuell leisten. Die Vorbereitung der Jubiläumskonzerte hat viel Energie gekostet und wir freuen uns sehr darauf. Bei allem Jubel mischen sich aber auch nachdenkliche Töne in die Beschreibung Ihres Arbeitsalltags. Warum? Die Gesellschaft hat sich verändert und mit ihr auch die Kirche. Die Frage nach ihrem Stellenwert steht im Raum – und damit natürlich auch nach Sinn und Auftrag unserer Tätigkeit. Hier können und wollen wir mit der musikalischen Arbeit in einer christlichen Gemeinschaft ein positives Zeichen setzen.

Was bedeutet das für Ihre tägliche Arbeit mit dem Chor?

Das Freizeitverhalten der heutigen Elterngeneration hat sich geändert. In vielen unserer Familien arbeiten beide Partner, woraus sich bestimmte Anforderungen beispielsweise an ein freies Wochenende ergeben. Da ist es eben nicht mehr selbstverständlich, dass man sonntags in die Kirche geht.

Oder im Domchor singt, was ja durchaus auch zeitliche Verbindlichkeiten darstellt?

Der Domchor hat das ganz klar formulierte Ziel, die Kinder über die Vermittlung von Freude an der Musik zu fördern und zu fordern. Natürlich bedeutet das einen gewissen Zeitaufwand für Proben. Und unser Auftrag ist ja in erster Linie die musikalische Gestaltung von Gottesdiensten im Dom. Wenn dann an Ostern ein Ski-Urlaub im Kalender steht, muss man eben Kompromisse finden.

Wie lässt sich Ihre anspruchsvolle Chorarbeit mit Schule und anderen Freizeitaktivitäten kombinieren?

In meiner Jugend war um kurz vor 13 Uhr Schulschluss. Heute kommen Jugendliche erst zwischen 15 und 17 Uhr nach Hause. Alle Vereinsaktivitäten, egal ob Chor oder Fußballclub, müssen sich an diesen Bedingungen orientieren. In unserem Fall stellt sich daher ganz grundsätzlich die Frage: Welches Kind kann und will heute noch bei uns mitsingen? Und welche Familie ist dazu bereit, dieses Engagement mitzutragen? Mit den katholischen Schulen in Mainz pflegen Sie seit Jahren eine besondere Zusammenarbeit.

Wie sieht die aus?

An Maria Ward, Willigis und Theresianum sowie an den Grundschulen zeigen wir in eigenen, von uns mit betreuten Gesangsklassen den Schülern den richtigen Umgang mit der Stimme. Und das Interesse daran ist erfreulicherweise sehr groß. Im Hinblick auf den heute gängigen Ganztagsunterricht erleichtert uns das die Stimmbildungsarbeit in unseren Chören und bindet uns außerdem aktiv in den Schulalltag ein.  

Sie nannten gerade die konfessionellen Schulen. Die Musica Sacra ist aber keine „geschlossene Gesellschaft“?

Überhaupt nicht. Die Eltern, die ihre Kinder zu uns bringen, können sie in einer christlichen und wertedefinierten Gemeinschaft aufgehoben wissen. Dafür muss ich nicht zwingend katholisch oder evangelisch sein, sondern eine Grundoffenheit gegenüber diesen Dingen haben. Auch Kinder, die nicht getauft sind oder eher kirchenferne Eltern, die aber das musische Angebot schätzen, sollen und wollen wir ansprechen.

Inwiefern hat sich denn die Gegenwart der Kinder verändert?

Wenn ich in der Freitagschorprobe sehe, wie die Jungs nach Schulschluss um 17 Uhr dasitzen, dann merke ich, dass die eine Woche Arbeit hinter sich haben. Ich sehe auch eine gewisse mediale Abhängigkeit von Smart- und I-phones, so dass ich den Einstieg in eine Probe ganz anders gestalten muss: Die Jungs nehmen die Stöpsel aus den Ohren und legen ihre Telefone aus der Hand, kommen quasi ohne jede Übergangsphase in die Probe rein. Manchmal habe ich das Gefühl, dass die als ‚Erwachsene‘ anfangen und als tobende Jungs aus der Probe rausgehen.

Ihr Wirken zeigt, dass Sie allen Problemen trotzdem positiv gestimmt und vor allem lösungsorientiert begegnen. Was ist Ihre Motivation?

Das intensive, gemeinsame Musizieren, weil es so durchaus vielschichtig ist! Das, was die Jungs in dieser ja relativ kurzen Zeit als Knabenstimme erleben, ist so einmalig, das kriegen die so nie wieder: das Kennenlernen großer Musik, Gottesdienste und Konzerte, Reisen, eine Audienz beim Heiligen Vater oder Fernsehaufnahmen mit dem Bundespräsidenten. Das ist eine kurze, aber sehr intensive Zeit, während der wir Gemeinschaft, Freude an der Musik sowie christlich-humanistische Grundwerte vermitteln. Durch das Singen im Chor trainieren wir außerdem ein gesundes Sozialverhalten. Darüber hinaus ist der Domchor eine kindlich gelebte Gemeinschaft, in der praktiziert wird, was in manchen Familie vielleicht nicht oder nicht mehr möglich ist.

Wenn Sie sich etwas zum Jubiläum wünschen dürften – was wäre das?

Dass der Mainzer Domchor eine Zukunft als Knabenchor hat: weil ich an dieser Gattung hänge, weil ich selber daraus komme und weil sie musikalisch so unheimlich erfüllend sein kann, wenn man sich darauf einlässt

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