Prof. Dr. Birger Petersen unterrichtet an der Hochschule für Musik Mainz nicht nur Vermittlung Neuer Musik, sondern ist auch selbst als Komponist kreativ. Zu seinen jüngsten Stücken gehört ein Auftragswerk für den Mainzer Domchor, das dieser im Passionskonzert am 18. März 2018 erstmals aufführen wird. Da sich zeitgenössische Musik jedoch nicht immer sofort erschließt, gibt Prof. Petersen sozusagen eine Gebrauchsanweisung.
Wie sah Ihr Zugang zur Welt der Musik aus?
Da bin ich eigentlich das schwarze Schaf in unserer Familie! Meine Eltern sangenzwar beide im Chor, aber ich hatte zunächst überhaupt keinen Kontakt zu Musizierenden, bis ich dann in der fünften Klasse das Klavier entdeckte und Unterricht bekam.
Und wie entdeckten Sie die Neue Musik?
Ich gehöre zu der Generation, die mit Legosteinen aufgewachsen ist und heute auch gern Ikea-Regale aufbaut. Daher merkte ich recht schnell, dass ich auch mit Musik kreativ umgehen und mir selber etwas zusammenbauen kann. Schon als Schüler mit Musik, die meine Klassenkameraden im Leben nicht hören wollten! Ich habe Schönberg-Variationen analysiert und gespielt, wodurch ich auch recht schnell für meine Klavierlehrer zum Schreckgespenst wurde. Einer machte mich dann auf die Vorklasse an der Lübecker Musikhochschule aufmerksam, wo ich noch vor dem Abitur begeistert Klavier studiert habe. Direkt nach dem Abitur wurde ich in die Kompositionsklasse aufgenommen. Wie gesagt: Ich bastle gerne.
Dennoch tut sich „Otto Normalhörer“ schwer, die Begeisterung für derartige Konstruktionen zu teilen. Wie kommt es zu dieser Hemmschwelle?
Einerseits unterscheidet sich die omnipräsente Musik zu sehr von der Kunstmusik. Die hat wiederum einen ganz anderen Stellenwert als früher. Heutzutage hängt sich jeder Arzt ein Bild von Paul Klee in das Wartezimmer, aber keiner legt abends eine Platte mit Werken von Schönberg auf. Der Weg der echten Wahrnehmung von ernst gemeinter Kunst im öffentlichen Raum wird immer seltener beschritten. Dadurch haben es Komponisten natürlich auch schwerer, gegenüber der ungleich umfangreicheren populären Musik Gehör zu finden. Dabei gibt es auch spannende Gegenbewegungen.
Zum Beispiel?
Derzeit läuft am Mainzer Staatstheater das Stück „Kannst Du pfeifen, Johanna“ meines Freundes und Kollegen Gordon Kampe, eine Kinderoper. Und da merkt man, dass dieses Publikum ohne weiteres in der Lage ist, mit großem Spaß und Entdeckerlust die Musik anders wahrzunehmen – also nicht als störend und ungewohnt, sondern einfach als passend zu dem, was da auf der Bühne passiert. Musik kann eben vor allem unvoreingenommen richtig wahrgenommen werden.
Für den erwachsenen Hörer erscheint Neue Musik abstrakt, oft sogar beliebig. Welchen Regeln folgt sie?
Zeitgenössische Musik muss über Rezeption vermittelt werden, denn das Publikum steht unbestritten vor dem Problem, dass es die Regeln, der die Musik folgt, nicht kennt. Hinzu kommt, dass jeder Komponist sich ja auch seine eigenen macht. In meinen Kompositionen versuche ich daher, den Hörer an die Hand zu nehmen. Da ein zeitgenössisches Werk immer nur punktuell erklingt und nicht ständig wiederholt wird, kann man es nur schwer besser kennenlernen. Daher ist es wichtig, bereits in der Komposition gewisse Hilfen einzubauen: Das können Reminiszenzen, Zitate oder auch Wiederholungen oder wiederkehrende Klänge sein, was sie dann leichter erfahrbar machen kann.
Dennoch werden Bach und Beethoven, damals ja auch zeitgenössische Komponisten, heute stets den Zuschlag bekommen. Wie kann man diese Voreingenommenheit überwinden?
Indem man wie ein Kind zuhört. Vor Jahren habe ich einen Orchesterzyklus über die Geschichten von „Pu der Bär“ geschrieben. Die Kinder um mich herum fanden das alles völlig normal, nachvollziehbar und logisch; die Eltern waren aber eher entsetzt. Beide verfügten dabei über den gleichen Informationsgehalt: Sie kannten Pu, aber nicht die Musik. Das zeigt, dass unsere Bildung mitunter das Hören verstellt. Am besten ist es daher, wenn man die Zuhörer auf die Musik vorbereitet.
Gibt es eine Gebrauchsanweisung für das Hören neuer Musik?
John Cage sprach von „Happy new ears“: Man sollte jedes Stück mit neuen Ohren hören. Wir machen leider zu oft den Fehler, Angst vor Fremdem zu haben. Dabei kann auch das Fremde unheimlich bereichernd für uns sein. In der Musik sollte man vor allem auch darauf achten, was einem eben nicht fremd ist. Solche Zusammenhänge zu entdecken, kann auch Neue Musik spannend machen. Das gilt für Klassikliebhaber wie für Hörer von Popmusik, die ja auch ihre Geschichte hat.
Birger Petersen studierte Musiktheorie und Komposition an der Musikhochschule Lübeck sowie Musikwissenschaft, Theologie und Philosophie an der Christian-Albrechts-Universität Kiel. Nach Lehrtätigkeiten in Lübeck, Bremen, Herford, Greifswald und Osnabrück war Petersen an der Hochschule für Musik und Theater Rostock in der Abteilung Komposition und Musiktheorie tätig. 2011 wurde er auf eine Professur für Musiktheorie an die Hochschule für Musik an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz berufen. Seine Werke erscheinen im Are Musikverlag Mainz (Foto: Moritz Reinisch).