Anton Bruckners f-Moll-Messe Nr. 3 (4/2018)

An der künstlerischen Persönlichkeit Anton Bruckners scheiden sich die Geister. Johannes Brahms fällte ein gnadenlos hartes Urteil, als er sagte: „Bei Bruckner handelt es sich gar nicht um Werke, sondern um Schwindel, der in ein bis zwei Jahren tot und vergessen sein wird.“ Abgesehen davon, dass nicht nur das heutige Konzert Brahms Lügen straft, lässt man dem derart Gescholtenen gerne den Dirigenten Nikolaus Harnoncourt zur Seite springen: „Bruckner ist, musiktheoretisch gesehen, ein Meteorit.“ Und für Richard Wagner war der Kollege „der bedeutendste Sinfoniker nach Beethoven“. Bruckner stand unerschütterlich im Glauben an die Verkündigungskraft des symphonischen Gedankens, der auch seiner dritten Messe innewohnt.

Der Komponist hatte eine gründliche musikalische Elementarausbildung genossen und nahm noch als anerkannter Organist viele Jahre lang Unterricht in der Kontrapunktik. „Wer hohe Türme bauen will, muss lange beim Fundament verweilen“, war seine Überzeugung. Der Linzer Theaterkapellmeister Otto Kitzler unterwies ihn in Formenlehre und Instrumentation, wobei Bruckner Komponisten wie Giovanni Pierluigi da Palestrina, Franz Liszt und auch Richard Wagner kennenlernte. Als Kitzler dessen „Tannhäuser“ inszenierte, war Bruckner überwältigt; während eines München-Besuchs durfte er anlässlich der Premiere von „Tristan und Isolde“ den Maestro sogar persönlich kennenlernen. 1867 erlitt der Komponist, der schon länger unter Depressionen und Selbstzweifeln litt, jedoch einen herben Schicksalsschlag: Sein Drang, sich Unmengen an Wissen und Fähigkeiten anzueignen, führte zu einer klinischen Manie, die Bruckner zwang, alles zu zählen. Es folgte ein Aufenthalt in einem Sanatorium mit mehrmonatiger, ärztlicher Behandlung. Als der Komponist endlich wieder genesen war, begann er im September 1867 seine dritte Messe zu schreiben.

Die f-Moll-Messe ist Teil eines kirchenmusikalischen Schaffens, das Bruckner als versierten Komponisten dieses Genres ausweist. 1848/1849 schuf er ein Requiem, 1852 ein Magnificat, 1863 die Vertonung von Psalm 112 sowie einige Messen, von denen die Missa solemnis aus dem Jahr 1854 hervorsticht. Seine großen Messvertonungen in d-Moll, f-Moll und e-Moll stellen den Schritt hin zur Sinfonik dar: „Zwischen 1864 und 1868 bricht es gleichsam aus Bruckner heraus, was er so lange hat zurückhalten müssen“, schreibt der Musikhistoriker Dietmar Holland: Setzte Bruckner in der zweiten Messe in e-Moll nur ein Blasorchester ein, enthalten die groß besetzten Schwesterwerke Partien symphonischer Steigerungswellen. Mit ihnen folgte Bruckner der Tradition der großen Orchestermessen, die in der Missa solemnis Ludwig van Beethoven gipfelte.

Die Dreiteiligkeit des Credo, Reprisen-Abschnitte in Kyrie, Gloria und Credo sowie große Schlussfugen erinnern an die Vorbilder Joseph Haydn oder Franz Schubert. Gerade in der f-moll-Messe treibt Bruckner die traditionelle Fugentechnik in dynamisch-drastische Extreme, wie man sie seit Beethoven nicht mehr gehört hatte. Für viele Zeitgenossen überschritt die Musik hier die Grenze zum Theatralischen. Holland sieht die stilistische Weiterentwicklung aber vor allem in einer deutlichen Vertiefung des Ausdrucks und der emotionalen Schwere sowie im Wechsel von flehender, demütiger Gestik und geradezu provokanten Steigerungen, die in exorbitanten Höhepunkten aufgehen: „Der durchaus mystische Tonfall nimmt jetzt einen prinzipiellen Rang ein." Das Orchester wird mit voller Streicherbesetzung sinfonisch verwendet, zum Chor treten vier Gesangssolisten, die das Geschehen entscheidend mitbestimmen.

Die kurze Einleitung führt dem Hörer in vielen Reprisen das schlichte Hauptthema vor, bevor die Frauenstimmen mit dem Ruf Kyrie eleison einsetzen. „Gedämpftes Licht liegt über diesem Anfang, das erst mit dem Eintreten des Solo-Soprans (Christe eleison) zur Aufhellung und schließlich leuchtenden Steigerung führt, die zum Schluss des Satzes wieder in ein psalmodierendes Pianissimo verfällt“, heißt es bei den Musikpublizisten Gerhart von Westermann und Karl Schumann. Das folgende Gloria setzt in strahlendem Aufschwung ein und bildet mit dem Credo das Kernstück der Messe. Nach dem filigran gestalteten Gratias agimus tibi von Sopran und Alt-Solo führt Bruckner die Musik mit dem Pater omnipotens zu einem ersten, mächtigen Höhepunkt. Dem Miserere wird ein Adagio zugedacht und der Wiederholungsteil, der mit dem Quoniam tu solus sanctus einsetzt, findet seinen Abschluss in einer großen Fuge, deren markantes Thema im Finale erneut zu hören ist. Gloria und Credo stehen dabei im optimistisch-triumphalen C-Dur, wobei Bruckner immer wieder modulierend in andere Tonarten abschweift. Die Anfangsthemen sowie die Melodie im Sanctus bei den Worten Pleni sunt coeli et terra gloria tua haben ihren Ursprung in Gregorianischen Chorälen. Das grandiose Credo-Motiv, das Chor und Orchester zu Beginn unisono intonieren, bildet das Thema, das Bruckner in der Mitte (Et in spiritum sanctum) sowie in der Schlussfuge (Et viram saeculi) erneut verwendet und mit dem er einen weiten Bogen über den ausladenden Satz spannt. Dazwischen hat Bruckner die einzelnen Aussagen des Glaubensbekenntnisses bedeutungsvoll auskomponiert. Ein Höhepunkt ist hier sicherlich das Crucifixus mit der geheimnisvoll aufsteigenden Synkopen-Figur der Violinen, die sich beim Wort Passus im Bass verliert, worauf der Chor gemeinsam mit dem Solo-Bass im Pianissimo die letzten Worte a cappella nahezu flüstert. Aus der völligen Stille steigt daraufhin das Orchester spannungsgeladen auf, bevor der Chor ergreifend kraftvoll mit dem Et resurrexit tertia die eindrucksvoll die Auferstehung beschwört. So sphärisch wie das von Solostreichern eingefasste Et incarnatus est zuvor klingt auch das schwebende Sanctus und der transzendente Schluss des Agnus Dei.

Holland betont: „Bruckner gelang es in seinen drei großen Messen, musikalisch den Himmel zu öffnen.“ Dabei baue er auf „den alten kontrapunktischen Geist der Fuge in ganz neuem klanglichen Gewand – mit einer Kühnheit, die nichts mehr vom Rückgriff auf bewährte, autoritäre Satztechnik hat, sondern der Fuge völlig unbekannte, dynamische Seiten abgewinnt“. Im Sanctus wechselt die mild verklärte Stimmung des Beginns mit begeisterten Ausbrüchen im Pleni sunt coeli et terra und im leuchtenden Einsatz des Solosoprans (Hosanna in excelsis Deo). In der längeren, expressiven Eröffnung des Orchesters, die das Benedictus einleitet, halten Violinen und Celli dann innig Zwiesprache: Zarte Streicherfiguren umrahmen den Chorgesang, aus dem der Solo-Sopran licht aufsteigt. Das Agnus Dei beginnt in tiefer Demut, der von den Solisten formulierte Bittruf Miserere nobis steigert sich im eruptiven Vokalen. Ihren versöhnenden Ausgleich findet die Messe schließlich im Dona nobis pacem: Das Thema des Kyrie erklingt in den Holzbläsern jetzt in Dur, wird vom Chor aufgegriffen und gesteigert, um schließlich in energiegeladenem Optimismus die Bitte um Frieden zum Thema der Gloria-Fuge unsiono aufzugreifen.

Am 16. Juni 1872 erfuhr die f-Moll-Messe in der Wiener Augustinerkirche schließlich ihre Uraufführung, nachdem Bruckner sie eigentlich bereits vier Jahre zuvor fertiggestellt hatte. Anfangs stieß sie bei den Musikern auf heftige Ablehnung und wurde gar als „unspielbar“ zurückgewiesen. Die erste Aufführung dirigierte Bruckner selbst und unterzog seine dritte Messe bis ins Jahr 1893 einigen Revisionen. Über eine Aufführung im Juni 1883 schrieb der Kritiker Hans Woerz in der Wiener Allgemeinen Zeitung, die Messe sei ein „zweifellos geniales Werk“ und gehöre zu dem Besten, das Bruckner komponiert habe: „Sie ist mit einem Verständnis von Polyphonie, mit einer unerschöpflichen Phantasie und einer Beherrschung der Instrumente geschrieben, wie sie nur die größten Meister besaßen.“                                                                                                                   

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